Das Abkommen über den Handel mit verarbeiteten Landwirtschaftsprodukten
Dieses Abkommen wurde im Rahmen der Bilateralen II mit der EU ausgehandelt und 2005 in Kraft gesetzt. Das Ziel ist ein besserer Marktzugang für die Schweizer Lebensmittelindustrie und eine Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit, ohne dass der Schutz der Rohstoffe Weizen, Milch, Zucker, usw. in Frage gestellt wird. Die EU verzichtete dabei auf Exportsubventionen für Rohstoffe, die Schweiz gewährte einen Zollrabatt von 15 Prozent auf die Rohstoffe in importierten Lebensmitteln. Beim Zucker wurde die Doppel-Null-Lösung etabliert, bei der sämtliche Exportbeiträge und Zölle auf Zucker in verarbeiteten Produkten wegfallen.

Die Schweiz muss handeln und einen Weg finden, um den bilateralen Weg mit der Europäischen Union zu retten. Sonst wird sie abgehängt, so die Message der IG Agrarstandort Schweiz IGAS. Für den Schweizer Ernährungssektor seien insbesondere die Agrarabkommen und die bilateralen Abkommen über Verarbeitungsprodukte überlebenswichtig, schreibt die IGAS in einem Positionspapier, das am 6. September in Bern den Medien vorgestellt wurde.

Massgeschneidert und zu wenig wertgeschätzt
«Der Wert der Bilateralen ist leider nicht bekannt genug», sagte IGAS-Präsident Jacques Chavaz. Die betreffenden Abkommen böten eine seltene und massgeschneiderte Kombination von gutem Marktzugang für die Schweiz in der EU mit hohem Grenzschutz für Agrarimporte in die Schweiz. Die Rahmenbedingungen für die Schweiz schienen inzwischen selbstverständlich, seien es aber nicht: Eine eigenständige Agrarpolitik mit hohem Grenzschutz, aber zollfreie Importe von Saatgut, Pflanzgut, Dünger oder Maschinen. Offene Grenzen dort, wo es für die Schweiz interessant ist – beim Käsehandel – und ein vielfältiges importiertes Angebot an Lebensmitteln. Nicht zu unterschätzen ist aus Sicht der IGAS auch die Zusammenarbeit mit der EU bei der internationalen Durchsetzung von Qualitäts- und Nachhaltigkeitsstandards und die Harmonisierung von Regeln im Veterinärbereich oder bei der Vermarktung von Obst, Gemüse, Wein und Spirituosen. Auch beim Schutz der Ursprungsbezeichnungen profitiere die Schweiz von Abkommen mit der EU.

Damit all dies erhalten bleibe und nicht schleichend wegfalle, weil die Abkommen nicht aktualisiert würden, sei «die Konsolidierung des bilateralen Weges ein Muss in einem engen Zeitfenster», wie es die IGAS formuliert. Die Politik müsse rasch und dezidiert handeln.

Käsebranche floriert dank Freihandel
Jacques Gygax, Direktor des Käserverbandes Fromarte, betonte, für die Schweizer Käsebranche sei der offene Käsehandel mit der EU, der 2007 mit den bilateralen Verträgen eingeführt wurde, von zentraler Bedeutung. «Das hat uns fitter gemacht», sagte Gygax, die Branche sei heute innovativ, wirtschaftlich stark und breit aufgestellt. Die Käseimporte hätten zwar auch zugenommen, aber die wertmässige Handelsbilanz sei klar positiv. Dass die Bilateralen weitergeführt werden könnten, sei für die Käsebranche deshalb fast lebenswichtig.

Urs, Furrer, Geschäftsführer von Chocosuisse und Biscosuisse, erklärte, vor allem die Bilateralen II mit verbessertem Marktzugang für verarbeitete Produkte sei für seine Branche wichtig. Die Exportfähigkeit der Schweizer Hersteller erlaube Skaleneffekte und Produktivitätsvorteile, von denen letztlich auch die Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten profitierten. Eine engere Zusammenarbeit mit der EU wäre aus Sicht der zweiten Verarbeitungsstufe etwa bei den Zulassungsverfahren für Novel Food mit interessant.

Auch andere Abkommen sind relevant
Die IGAS hält auch fest, dass die Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft nicht nur vom Abkommen profitiert, in dem der Handel mit verarbeiteten Produkten geregelt ist, sondern auch von anderen Abkommen der Bilateralen II. So wurde die Rekrutierung und Administration für ausländische Arbeitskräfte in der Landwirtschaft stark vereinfacht. Im Bereich Forschung werde die Teilnahme von Forschungsstätten wie Agroscope, FiBL, ETH oder HAFL an gemeinsamen Forschungsprogrammen stark eingeschränkt. Das Abkommen über technische Handelshemmnisse, das derzeit nicht mehr aufdatiert wird, sei auch bei Maschinen und anderen für die Land- und Ernährungswirtschaft relevanten Investitionsgütern sehr wichtig. Auch das Schengen-Abkommen sei wichtig, die Auswirkungen auf den Tourismus beträfen letztlich auch die Land- und Ernährungswirtschaft als Lieferanten der Hotel- und Gastronomiebetriebe.

Schleichende Ausgrenzung der Schweiz
Der Anhang 11 des Landwirtschaftsabkommens, der das Veterinärwesen betrifft, wurde seit 2018 nicht mehr aufdatiert. Die EU argumentiert, mit der Schweiz müssten die institutionellen Fragen geklärt, bevor dies geschehen könne. Gemäss IGAS ist die Schweiz immer noch in die Entscheidungsprozesse der EU eingebunden und kann an den Sitzungen der relevanten Gremien teilnehmen. In anderen Bereichen, etwa bei Lebensmitteln pflanzlicher Herkunft, würden Schweizer Expertinnen und Experten inzwischen ausgeschlossen.

Im Verhältnis mit der EU gebe es nur den EWR, der politisch derzeit keine Chance habe, oder den Erhalt der Bilateralen, damit sich die Situation der Schweiz nicht schleichend verschlechtere, erklärte Christoph Dietler, Geschäftsführer der IGAS. Deshalb sehe man insbesondere den Schweizer Bauernverband, die Verarbeitungsindustrie, Milchproduzenten und auch den Detailhandel in der Pflicht, die Risiken der Erosion des bilateralen Wegs offen zu thematisieren. Das betreffe auch eigene Mitglieder, sagte Dietler. Denn in der IGAS sind beispielsweise auch Coop und Migros dabei, ohne allerdings eine prominente Rolle zu spielen.

Die IGAS fordert, dass der Bundesrat sich einer konstruktiven Lösung der institutionellen Fragen mit der EU stellt, mit den Sozialpartnern eine Debatte führt und mit der EU so bald wie möglich neue Verhandlungen aufnimmt. Auch das Parlament müsse diesbezüglich seine Verantwortung wahrnehmen und unterstützen.